Antifaschistische Gegenwehr in Solingen

Nach dem islamistischen Anschlag in Solingen am 23. August 2024, dem drei Menschen zum Opfer fielen, fuhren wir nach Solingen um eine Vereinnahmung der Tat durch rechte Kräfte zu verhindern.

Im Rahmen unserer Auswertung entstand in den Wochen nach dem Anschlag der folgende Text , den wir mit reichlich Verspätung hier veröffentlichen. Bei Fragen, Kritiken oder Anmerkungen erreicht ihr uns wie gehabt per E-Mail.

 

 

Solingen macht deutlich:

Antifaschistische Gegenwehr organisieren!

Wir möchten in dem folgenden Text ein paar Beobachtungen und Gedanken zu der Situation in Solingen, vor allem den drei Tagen nach dem islamistischen Anschlag, verlieren. Vorweg ist es wichtig zu sagen, dass wir keine gut diskutierte und überprüfte Position zum Islamismus haben. Einige von uns haben in ihrer Beschäftigung mit dem kurdischen Befreiungskampf zwar schon (zumindest theoretisch) Erfahrung gemacht, für eine Position zum Islamismus und seiner Rolle in Deutschland reicht das allerdings nicht. Wir schreiben also über die Versuche von Rechts den Anschlag zu instrumentalisieren und über die antifaschistische Gegenwehr.

Sonntag der 25.08.24 und Montag der 26.08.24 in Solingen

Die Meldung über einen Anschlag mit mehreren Toten und Verletzten erreichte uns dank Social Media zeitnah und so hielten wir schon am Samstag die Augen offen, um mögliche Mobilisierungen von Rechts auf dem Radar zu haben. Die antifaschistische Bewegung hat gelernt bei solchen Ereignissen sehr wachsam zu sein, da sie in der Vergangenheit immer wieder von Rechts vereinnahmt wurden, zuletzt in Mannheim, nach dem Angriff auf den Anti-Islam Hetzer Michael Stürzenberger. Samstag Abend fing die „Junge Alternative NRW“ an, für eine Kundgebung auf dem Kirchplatz am Sonntag Abend zu mobilisieren. Der Kirchplatz ist der Tatort des Anschlags und der Trauerort an dem zahlreiche Blumen und Kerzen abgelegt sind.

So mobilisierten wir und große Teile der Kölner Linken, sowie darüber hinaus, zur antifaschistischen Gegenwehr. Gegen 17 Uhr waren wir mit ca. 300 Antifaschist:innen in Solingen und traten den ca. 15 „Junge Alternative“ Aktivisten und ihren Sympathisanten entgegen. Unter den „Aktivisten“ waren bekannte Gesichter, wie zum Beispiel Gerald Christ, Mitglied der Jungen Alternative Bonn und Umfeld der IB-Nachfolgeorganisation „Revolte Rheinland“.

Antifaschist:innen hielten den Ort des Gedenkens besetzt und verhinderten damit, dass die Junge Alternative dort ihre Kundgebung abhalten konnte, zudem wurden die „Aktivisten“ der Jungen Alternative mehrfach konfrontiert.

Am Montag den 26. sah die Mobilisierung der Rechten anders aus, diese war deutlich größer und militanter. Unter den anwesenden Gruppen waren „der III. Weg“, die „Bruderschaft Deutschland“, „die Heimat“ und weitere unabhängige Nazis. Den insgesamt 150 Nazis stellten sich erneut etwa 300 AntifaschistInnen entgegen. Es kam zu Angriffen auf den „Aufmarsch“ der Nazis und zu einem entschlossenen Schutz der Geflüchtetenunterkunft in Solingen, die fußläufig etwa 5 Minuten vom Kirchplatz entfernt ist und in der der Tatverdächtige vor dem Anschlag lebte.

Der Schutz der Unterkunft wurde von ca. 80 Antifaschist:innen bereitgestellt, die bereit waren einem an dem Abend wahrscheinlichen Angriff seitens der Nazis militant entgegenzutreten.

Als gegen 21 Uhr das letzte Polizeiauto die Geflüchtetenunterkunft verlassen hatte, wurde die Notwendigkeit der antifaschistischen Gegenwehr überdeutlich.

Schlüsse aus diesen 2 Tagen:

  • Es wurde sehr spontan eine große Menge AntifaschistInnen mobilisiert, die an beiden Tagen, bereit waren den Rechten militant zu begegnen.
  • Wir erkennen eine allgemeinere Tendenz, auch in der westdeutschen Antifa Bewegung, sich nach den diversen Angriffen auf die CSDs dieses Jahr und den rassistischen Ausschreitungen in Großbritannien wieder mehr auf tatsächliche Gegenwehr zu konzentrieren.
  • Die AfD in NRW bzw. die JA NRW schafft es, Stand jetzt, nicht spontan Menschen auf die Straße zu bringen. Eine Bewegung auf der Straße geht von ihr nicht aus.
  • Eine Zusammenführung der AfD und ihres Umfeldes mit den militanten Faschisten hat nicht stattgefunden. Sie halten sich von einander fern und schaffen keine „strömungsübergreifende“ Reaktion. Zu einer rechten Großmobilisierung (wie zum Beispiel in Mannheim oder Kandel) sind die rechten bis faschistischen Akteure in NRW nicht in der Lage. In anderen Teilen Deutschlands sind die Annäherungen deutlich fortgeschrittener (siehe CSD in Bautzen).
  • Es hat sich wieder einmal bestätigt das wir uns im Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat verlassen können. Die Geflüchtetenunterkunft wurde durch militante Antifaschist:innen und nicht durch die Polizei geschützt.

Und wie weiter?

Das Thema Militanz hatte an beiden Tagen in Solingen einen ungemein hohen Stellenwert.

Aus unseren Beobachtungen der letzten Jahre antifaschistischer Arbeit und den erfahrenen Situationen in Solingen und anderswo ergeben sich für uns folgende Handlungsanweisungen: Wir als Aufbau müssen uns in Zukunft mehr mit Taktiken des antifaschistischen Selbstschutzes auseinandersetzten.

Wir sehen die große Mobilisierung und ihre hohe Militanzbereitschaft in Solingen, auf Seite der antifaschistischen Bewegung, als eine positive Entwicklung. Unsere Aufgabe ist es diese Tendenzen weiter zu vertiefen und kontinuierlich zu gestalten.

Solingen hat gezeigt das wir Standpunkte zum Islamismus entwickeln bzw. uns aneignen müssen. Klar ist, dass der Islamismus unser politischer Gegner ist. Nur wie er funktioniert, warum er entstanden ist und was sein Verhältnis zu Klassenherrschaft oder beispielsweise zum Nationalismus ist, müssen wir noch ergründen. Möglicherweise könnte der Bezug zu Rojava und dem Kampf der YPG/YPJ gegen den IS ein Ausgangspunkt der Debatte sein.

Bereits wenige Tage nach dem Anschlag beschließt die Regierung ein Maßnahmenpaket, dass es geflüchteten Menschen deutlich schwerer in Deutschland macht. Abschiebungen nach Afghanistan (wo die islamistischen Taliban herrschen) sind nun möglich und der Staat macht unverzüglich Gebrauch davon. Dass die Menschen, die nach Deutschland flüchten, oftmals vor islamistischen Terrormilizen fliehen, spielt dabei keine Rolle. Die Regierung setzt ohne erkennbaren Druck von der Straße rassistische Beschlüsse um und bedient dabei radikal rechte Narrative. Die Regierung handelt in vorauseilendem Gehorsam. Es gab keine rechten Großmobilisierungen wie nach dem Femizid in Kandel, auf den die Regierung sich beziehen könnte um den vermeintlichen „Volkswillen“ umzusetzen. Der Rechtsruck nach dem Anschlag in Solingen findet seine härtesten Konsequenzen in den Parlamenten und nicht auf der Straße.